Wir

Vorwort

WIR ist mein erstes ‚digital‘ komponiertes Stück (1989), da einmal bestimmte kompositorische Aufgabenstellungen am Rechner als Lösungsvorschläge erarbeitet wurden und außerdem die Aufführung des Stückes selbst den Einsatz des Rechners verlangt.

Das musikalische Grundmaterial von WIR basiert auf einer Stelle in Bachs Fuge Fis-Dur, WK II, aus der die drei Grundstrukturen von WIR, Tonhöhen-Klangfläche, Geräusch-Tonhöhen-Echoimpulse sowie Zisch-Wisch-Geräusche und davon wieder einige ‚gerichtete‘ Varianten entwickelt wurden. Die Varianten der Struktur ‚Echo-Impulse‘ zum Beispiel nähern sich immer mehr in Material und innerem Aufbau der Struktur ‚Zisch-Geräusche‘, während die Varianten der Struktur ‚Klangfläche‘ sich etwas der Struktur ‚Echo-Impulse‘ nähern; dagegen verharrt die Struktur ‚Zisch-Geräusche‘ ohne Entwicklung ‚in sich‘, ohne Reaktion auf die Veränderungen der sie umgebenden anderen Gestalten. Die Erstellung der Form beruht somit in der Dramaturgie dieser Entwicklungsverläufe, deren logische und musikalisch überzeugende Verknüpfungen, Abfolgen, Überlagerungen.

Wurden die Grundstrukturen und deren Varianten in WIR noch weitgehend ‚von Hand‘ komponiert, konnte an den Partien zwischen den einzelnen Strukturen bzw. deren Varianten ein von mir entwickeltes Computerprogramm eingesetzt werden mit dem Ziel, die Strukturen miteinander zu verknüpfen. Daraus wiederum entstand die Möglichkeit, ‚Übergang‘ als musikalische Größe ebenso zu definieren und zu behandeln wie die Tonhöhe oder Klangfarbe. Ebenso erwuchsen neue zeitlich-kompositorische Möglichkeiten wie das mühelose Auskomponieren von Accelerando – bzw. Rallentando-Prozessen sowie deren beliebige Überlagerungen. Viele dieser Möglichkeiten sind allerdings in WIR noch kaum ausgeschöpft, WIR ist, wie oben schon angedeutet, ein Anfang, vielleicht eine Verheißung, noch keine Erfüllung.

Da der Text in WIR als musikalisch-klangliches Phänomen behandelt wird, ist er denselben digitalen Verarbeitungsprozessen unterworfen wie alles übrige Klangmaterial ebenfalls. Dies bedeutet einerseits die komplette Zertrümmerung vorgeformter Modelle und Entitäten, andererseits aber auch der Möglichkeit der ‚künstlichen‘ Resynthese. Übertragen auf den in WIR zugrunde liegenden Text Rainer Kunzes heißt dies, dass wir mit unserer Technologie (auf die wir nicht mehr verzichten können) immer stärker in die Natur eingreifen und diese verändern, ja zerstören, dass aber diese Technologie uns auch die Möglichkeit gibt, solche Eingriffe auszugleichen, also zerstörte Natur in einem gewissen Umfang zu resynthetisieren. Bleiben solche Ausgleichsmaßnahmen allerdings aus oder geschehen sie fehlerhaft, droht die Katastrophe, tritt ein, was am Schluss von WIR symbolisch dargestellt ist: aufgrund des auskomponierten Accelerandos (von 160 MM nach 640 MM) ist der Spieler immer weniger in der Lage, alle vorgeschriebenen Aktionen richtig auszuführen; ihm läuft zusehends die Zeit davon…

Der Computer spielt aber nicht nur eine wichtige Rolle bei der Erzeugung eines Teils des Notentextes von WIR, sondern auch bei dessen klanglicher Realisierung. Neben den ‚menschlichen‘ Spielern benötigt das Stück einen digitalen Synthesizer sowie ein digitales Hallgerät, die beide vom Computer aus gesteuert werden. Der Computer allerdings – wird vom Spieler gesteuert! Schaltet man nämlich beim Synthesizer mittels eines speziellen Sequenzer-Programms die Tastatur für die Klangerzeugung ab, kann man per Tastendruck (dessen Tempo durch den Dirigenten bestimmt und von einem Spieler abgenommen wird) das Wiedergabetempo durch den Computer innerhalb gewisser Grenzen verändern. Dirigenten besteht dann einmal darin, insbesondere an Stellen mit starken Tempowechseln das Einstiegsfenster nicht zu verfehlen (+-5 Schläge zum vorprogrammierten Tempo !!), und – falls dieses doch geschehen ist – möglichst schnell wieder in den beeinflussbaren Tempobereich zu gelangen.

Gerade hier eröffnet sich die Vision einer intelligenten Technologie: die nicht mehr stur nach einem unverrückbaren Mechanismus abläuft, sondern in Dialog tritt, veränderbar ist aber auch von der anderen, der menschlichen Seite Wachheit, Flexibilität und Intelligenz verlangt.

Georg Wötzer

WIR

Mein erstes algorithmisch komponiertes Stück in nachseriellem Stil mit vielen Klang- Geräuschmischungen vokal-perkussiv-elektronisch über einen Text von Rainer Kunze aus den 80-er Jahren des 20. Jahrhunderts, der bereits damals die Umweltzerstörung beklagt. Sowohl an Experten als auch an Musik-Laien gerichtet.

Zuspielungen: WIR (Download)

Die Filenamen-Liste ist gedacht für den Fall, dass die Zuspielung nicht mit dem Klangeditor-Programm Samplitude (Magix) wiedergegeben wird.

Diese Dateien müssen in ein durch das jeweilige Editor-Programm zuvor erstelltes Verzeichnis auf die entsprechenden Spuren geladen und sonstige Kanaleinstellungen getätigt werden. Es empfiehlt sich, anhand der Taktspur-Datei Marker zu setzen.