Visit Europe
Vorwort
Mein Stück ‚Please visit Europe‘ wurde im Jahr 1985 in Esslingen uraufgeführt, in der Zeit des Nato-Doppelbeschlusses und einer absurden nuklearen Hochrüstung sowohl der USA als auch der Sowjetunion. Wahrscheinliches primäres Schlachtfeld wäre Deutschland gewesen, in Ost und West. Der Titel übernimmt den Werbetext eines amerikanischen Reiseunternehmens, die Fortsetzung des Titels lautet folgendermaßen: ‚as long as she still will exist‘ – solange es Europa noch gibt. Das ist gewiss von cleverer Ironie, kommt damit die doppelte Wahrheit der militärischen Gefährdung unseres Kontinents und die törichte Hoffnung mancher Leute in Amerika und anderswo zum Ausdruck, kurz nochmals unseren Kontinent und dessen Eingeborene zu bereisen, um dann im atomaren Ernstfall den Untergang unserer Städte und Kultur am Fernseher- live über Satellit – mitzuerleben, behaglich im Sessel sitzend bei einer Dose Würzburger Hofbräu als Mitbringsel.
Was mich selbst dabei bewegt, ist beileibe nicht ein antiamerikanisches Gefühl. Der Blick zurück in die jüngere Geschichte lehrt, dass wir selbst, wir Deutsche hier auf diesem Boden und von diesem Boden aus, den heutigen fürchterlichen Zustand maßgeblich mit geschaffen haben. Außerdem ist die andere Supermacht, Russland, am Wettrüsten mindestens genauso beteiligt wie die USA.
Zutiefst aufwühlend ist aber die Einsicht in die Ungeheuerlichkeit der Bedrohung der ganzen Welt durch ein außer Kontrolle geratenes Wettrüsten und- ebenso sehr – die Diskrepanz zwischen realer Bedrohung und deren Kenntnisnahme durch die Mehrheit der Menschen, in und außerhalb Europas. Viele von uns – und nun komme ich zum künstlerischen Teil meiner Ausführungen – sind zu enormen Verdrängungskünstlern geraten.
Das Stück ‚Please visit Europe‘ versucht nun – und daran will es gemessen werden – diesem Verdrängungsprozess entgegen zu arbeiten. Please visit Europe inszeniert einen Ablauf, der sich nach mehreren Steigerungswellen zu einer Szene verdichtet, die schließlich alles Material des Stückes mit sich reißt, zusammenballt, zerfetzt, bis nach der großen Eruption nur noch pulsierende Trümmer übrig bleiben, denen das Schweigen des Nichts folgt.
Auffallend am Material von Please visit Europe ist ein Händel-Zitat (Op. 4, Nr.2), aus dessen Beginn alle nicht-tonalen Partien abgeleitet sind. Händel repräsentiert wohl musikalisch am ehesten, was Europa-Touristen nach Heidelberg oder in die Stuttgarter Stiftskirche treibt: Merry old Europe. Jedoch findet das Händel-Konzert wegen Verständigungsschwierigkeiten zwischen Orgel und Tonbandzuspielung nicht statt.
Ebenso auffallend sind die Spielfiguren, die aus Händel abgeleitet sind, aber an neuere Minimal-Techniken gemahnen sollen; sie entgleiten alsbald dem Dialog Tonband-Orgel, weil die Orgel dem zunehmend rasender werdenden Tempo dieser im Tonband übernommenen Figuren nach kurzer Zeit nicht mehr gewachsen ist und sich deshalb resignierend anderen Strukturen zuwendet.
Dann noch zwei weitere Zitat-Fragmente in Please visit Europe: einmal ein Teil des ‚Fafner-Motivs‘ aus Wagners ‚Siegfried‘ (Fafner bewahrt bekanntlich den Hort des Nibelungen), und zwar die Stelle mit dem Pauken-Tritonus c-fis, aber elektronisch verfremdet in der Klangfarbe einer gedämpften Posaune, und zum andern der Rhythmus einer sehr bekannten Sinfonie, deren Schicksal an unsere Pforten klopft, auch wieder elektronisch verfremdet in der Klangfarbe einer großen Trommel.
Schließlich wird noch die Stimme des Komponisten auf dem Tonband auffallen, die aber ziemlich anders klingt als sonst.
Bleibt noch zu fragen, was ein solches provozierend und in gewisser Weise auch subversiv gemeintes Musikstück wie Please visit Europe in der Kirche zu suchen hat. Dazu kann ich nur sagen: gerade ein solches Musikstück gehört hierher. Denn wenn sogar an diesem geweihten, dem staatlichen Zugriff entzogenen Ort das Ausmaß der Gefahr verschwiegen wird, dann sehe ich keine Hoffnung mehr auf einen würdigen Ausgang der menschlichen Geschichte.
Stilistik Please visit Europe
‚Musik über Musik‘ sowie ein Anti-Kriegsstück; ein Orgelkonzert von Händel wird mit Synthesizer-Klängen kombiniert; geeignet für Musik-Experten wie auch für Musik-Laien.
Stimmen Visit Europe
Besetzung
Partitur
Aufnahme Visit Europe
Zuspielungen: Visit Europe (Download)
Die Filenamen-Liste ist gedacht für den Fall, dass die Zuspielung nicht mit dem Klangeditor-Programm Samplitude (Magix) wiedergegeben wird.
Diese Dateien müssen in ein durch das jeweilige Editor-Programm zuvor erstelltes Verzeichnis auf die entsprechenden Spuren geladen und sonstige Kanaleinstellungen getätigt werden. Es empfiehlt sich, anhand der Taktspur-Datei Marker zu setzen.