The Attack
Vorwort
Für Violine, Klavier und 4-bzw. 8-kanalige Zuspielung
(2002)
Äußerer Anlass zur Komposition von The Attack war das Attentat vom 11. September 2001 in New York. Den Opfern dieses Massenmords ist The Attack auch gewidmet. Doch reicht die Betroffenheit tiefer, in unsere eigene deutsche Geschichte: auch unsere Vorfahren haben schwere Verbrechen begangen, die jenes sogar um ein Vielfaches in jeder Hinsicht übertroffen haben. Dass dies auf dem Hintergrund höchster Kulturleistungen der Deutschen geschah, hat einen Riss im Kleid unseres kulturellen Selbstverständnisses hinterlassen, den wir nicht mehr beseitigen können. Er stellt unausweichlich die Frage nach dem Sinn unserer kulturellen Schöpfungen, danach, ob sie nur geistvolles Spiel um ihrer selbst Willen oder dazu da sind, an das Gute im Menschen zu appellieren. Das Gute heißt für mich: Die Schönheit der Welt im Schöpferischen des Kunstwerks sinnfällig werden zu lassen, in Opposition zu den Kräften der Zerstörung. Dieser Anspruch verlangt ein Denken auf mehreren Ebenen beim Komponieren, wobei diese Ebenen sich im Verlauf der musikalischen Handlung gegenseitig beeinflussen und sie so vorwärts treiben. The Attack diene für solches kompositorische Verständnis als Beispiel.
Die erste Ebene in The Attack ist die von autonomer musikalischer Detail-Organisation mit ihren kompositionstechnischen Implikationen.
Die zweite Ebene ist eine sprachliche, sie setzt unterschiedliche musikalische Sprachidiome innerhalb von The Attack miteinander in Beziehung und schafft so historische Perspektiven, gleichzeitig auch Distanz durch Infragestellung des einheitlichen Charakters des Werks. So steht in The Attack der erste Satz der G-Dur-Violinsonate von Brahms im Mittelpunkt, und es gibt im Stück noch weitere Anspielungen und Zitate. Dem entgegen gesetzt sind Partien mit geräuschhaften, auch elektronischen Klängen sowie überhaupt tonalitätsfreie Passagen. Dazu kommen Übergänge zwischen Abschnitten und zwischen tonalen und nicht-tonalen Passagen, die gerade durch die unterschiedlichen Sprachidiome eine besondere Bedeutung erhalten.
Die dritte Ebene in The Attack, noch stärker das Autonomie-Prinzip in Frage stellend, hat die Art der Verwendung elektronischer Mittel zum Inhalt mit dem Zweck, ein Äußeres, Reales (einen Auszug aus der Namensliste der Opfer, ‚Rap‘-artig vorgetragen) dem Übrigen entgegen zu stellen, sich dann allmählich
und fast ununterscheidbar mit dem auf der Bühne ‚Live‘- Gespielten vermischend, als Illusion eines gemeinsamen Klangraumes.
Die vierte Ebene in The Attack ist eine szenische, indem die beiden Spieler, dem musikalischen Geschehen folgend, auf der Bühne theatralisch miteinander zu agieren beginnen und die Handlung dem Hörer auch vor Augen führen.
Die fünfte Ebene in The Attack ist diejenige der Gesamtdramaturgie als Ausgangspunkt der Erfindung. Sie ordnet die Teile und Gestalten der Form so an, dass sich die Idee des Stücks und seine Handlung im Lichte der anderen Ebenen hörbar nachvollziehen lässt.
Doch worin besteht die Handlung? Beide Spieler wollen miteinander kammer-musikalisch kommunizieren, jedoch versagt sich die Violine gleich am Anfang von The Attack dem gemeinsamen Spiel – als ob sie sich an etwas Furchtbares erinnerte, das ein Zusammenspiel unmöglich macht. Das Klavier hingegen sucht das Zusammenspiel (vielleicht fühlt es sich schuldig?), trotz der gemeinsamen Erinnerung, wie ein Bittsteller, der sogar seine Bitten immer drängender vorträgt. Der Formverlauf thematisiert nun, wie Kammermusik in dieser Konstellation überhaupt möglich sein kann.
Der Rückgriff auf Brahms – das ‚Davor‘ – symbolisiert für mich intakte, vorhandene musikalische Kommunikation auf einem gemeinsamen intellektuellen Fundament. Beim ‚Danach‘, also nachdem sich das Furchtbare ereignet hat, funktioniert sie entweder gar nicht mehr, nur scheinbar, kurzzeitig oder im Rausch, der aber schnell verfliegt, so, als ob das gemeinsame Fundament musikalischen Handelns abhandengekommen sei. Daher stehen sich die beiden Spieler am Ende von The Attack so unversöhnlich gegenüber wie anfangs, wenn nicht noch unversöhnlicher. In dieses Unversöhnliche mischt sich jedoch – zumindest bei der Geige – auch eine tiefe Trauer darüber, wie es hätte sein können ohne dieses Furchtbare, wie sie hätten vielleicht glücklich werden können, frei von Schuld und gegenseitigem Hass.
So drückt sich in der Möglichkeit zu komponierter Selbstreflexion aus, was dem Bösen Paroli bieten kann: nämlich Freiheit. Sie zu verteidigen ist auch eine künstlerische Aufgabe. Sie äußert sich in The Attack als Parteinahme für die Opfer, als Klage um unschuldig ermordete Alte, Kinder und hoffnungsfrohe Menschen mit zwanzig Jahren am Anfang ihres Erwachsenenlebens…
Stilistik The Attack
Ein Musterbeispiel für Polystilistik: nach-serielle Organisation (Expertenstilistik) trifft auf
Brahms und Schubert (Romantik) trifft auf elektronische Musik trifft auf Musiktheater.
Zusammengehalten durch Rap-artig vorgetragene Texte, die die Tragödie von Nine-Eleven
bei uns wachrufen.
Aufnahme The Attack
Zuspielungen: The Attack (Download)
Die Filenamen-Liste ist gedacht für den Fall, dass die Zuspielung nicht mit dem Klangeditor-Programm Samplitude (Magix) wiedergegeben wird.
Diese Dateien müssen in ein durch das jeweilige Editor-Programm zuvor erstelltes Verzeichnis auf die entsprechenden Spuren geladen und sonstige Kanaleinstellungen getätigt werden. Es empfiehlt sich, anhand der Taktspur-Datei Marker zu setzen.