Zwei Trauermusiken

Vorwort ‚Trauermusik für Jankiel von Echterdingen‘

Im Jahre 2005 wurde auf dem Areal des Stuttgarter Flughafens (Gemarkung Leinfelden-Echterdingen) ein Massengrab mit 34 jüdischen Häftlingen des dortigen ehemaligen Konzentrationslagers entdeckt. Diesen armen Menschen ist das Stück gewidmet.

Der ‚Trauermusik für Jankiel von Echterdingen‘ voraus geht ein ‚El male rachamim‘, das Totengebet für die jüdischen Märtyrer, in der Fassung von Schalom Katz, das für die Besetzung der ‚Trauermusik…‘ bearbeitet wurde. Beide Stücke bilden eine Einheit und sollten nacheinander aufgeführt werden. Der ‚Trauermusik …‘ liegen drei Texte zugrunde: Das Gedicht ‚Jankiel von Echterdingen (1), das Gebet ‚El male rachamim-deutsch‘, und das Gedicht ‚Jankiel von Echterdingen (2). Als erster Text beklagt das Gedicht ‚Jankiel..(1)‘ den Mord an den Juden. Der zweite Text ist das Gebet für die jüdischen Märtyrer, in deutscher Sprache. Das Gedicht ‚Jankiel…(2)‘ als dritter Text beschwört, was Deutschland in Zukunft besser machen soll als insbesondere in der Nazi-Zeit. 

Die Form des Stückes ist, gemäß der Textvorlage, dreiteilig. Text 1 wird in der ‚Einleitung‘ vertont. Das Zentrum des Stückes verwendet den Text 2, und der Schluss verwendet den Text 3. 

Die Tonsprache ist mindestens ‚bilingual‘. Jene das Totengebet umgebenden Stücke Jankiel (1) und Jankiel (2) sind ‚freitonal‘, eher dem Stil ‚Neue Musik‘ zugehörig. Die Vertonung des Totengebetes auf Deutsch ist tonal oder erweitert tonal, mit einer Nähe zu europäischer geistlicher (christlicher) Musik. Allerdings gibt es dort mehrere Einsprengsel von nicht-tonalen Passagen, die stilistisch dem Bereich ‚Neue Musik‘ zugeordnet werden können. 

Jedem wichtigen Textabschnitt oder auch semantisch wichtigen Begriff wird eine musikalische ‚Kerngestalt‘ zugeordnet. Sie, als Vertonung des Textes, ist die Trägerin einer bestimmten damit assoziierten Emotion. Es ist wichtig, dass sie durch die Spieler herausgearbeitet und hörbar gemacht wird. Zwischen solchen ‚Kerngestalten‘ finden mitunter Übergänge statt, oder die Kerngestalten werden unvermittelt nebeneinander gestellt. 

Ein mir wichtiges Ziel beim Komponieren ist, dass die entstandene Musik für möglichst viele Menschen ästhetisch akzeptiert wird, ob sie nun Erfahrung mit zeitgenössischer Konzertmusik haben oder nicht. Deshalb werden in eine eigentlich dem Konventionellen entgegengesetzte musikalisch-ästhetische Umgebung konventionelle musikalische Passagen eingebaut. Die dadurch entstehenden, eigentlich konflikthaften Situationen eröffnen indes enorme Möglichkeiten von Ausdruck und Gestaltung, eine Öffnung nach verschiedensten musikalischen Richtungen, die alles einbezieht, was klingt, samt dessen Erfahrungshorizont. Am wichtigsten aber sind die Emotionen, getragen durch die ‚Kerngestalten‘. Die Abfolge der Emotionen ist die Geschichte, die uns die Musik in Wahrheit erzählt.

Stilistik Zwei Trauermusiken

Die ‚Trauermusik für Jankiele von Echterdingen‘ übersetzt und kommentiert das jüdische ‚El male rachamim’ für die Deutschen (nach der Shoah). Jüdische Liturgie wird Teil deutscher bzw. europäischer Gegenwartsmusik, ein besonderer Fall von Polystilistik und gedacht für
alle Musikinteressierten. Die beiden Trauermusiken bilden den Kern des Zyklus ‚Ein deutscher Schabbat‘.

Vorwort zu ‚Zwei Trauermusiken‘ 1) El male rachamim

Die beiden Stücke ‚El male rachamim‘ und ‚Trauermusik für Jankiel von Echterdingen‘ sind Teil des Liederzyklus ‚Ein deutscher Schabbat‘. Dort bilden sie das Zentrum, umgeben von den Gesängen der ‚Stuttgarter Schabbat-Lieder‘.

Das ‚El male rachamim‘ ist das jüdische Totengebet. Schalom Katz, ein ungarischer Jude, sollte 1942 in einem Konzentrationslager erschossen werden, zusammen mit 1600 weiteren Juden. Er erhielt die Erlaubnis, das Totengebet zu singen, während die andern ihr Grab schaufeln mussten. Der von Katz‘ Gesang beeindruckte Lagerkommandant ließ ihn am Leben, befahl ihm aber, am nächsten Tag vor den Offizieren des Lagers zu singen. Danach schenkte er ihm die Freiheit. Später war er es, der in das gebräuchliche Totengebet jene Passagen über die Shoah einfügte.

So schuf er das heute in der ganzen jüdischen Welt gesungene ‚El male rachamim‘ für die jüdischen Märtyrer der Shoah. Die hier vorhandene Fassung des Gebets ist eine ziemlich klanggetreue Übertragung einer Tonaufnahme aus dem Jahre 1950, gesungen von Schalom Katz. Die ursprüngliche Besetzung war Vorsänger (Tenor) mit überwiegend vierstimmigem Männerchor. Das Original wurde hier aufgeschrieben und vorsichtig auf die Besetzung Bass, Bass-Klarinette und Akkordeon übertragen. Demzufolge stehen der Vorsänger und dessen deutliche Textartikulation bei der Wiedergabe ganz im Vordergrund.