Mes Adieux
Vorwort
Das Stück Mes Adieux heißt genauer:
Mes Adieux de ‚La fille aux cheveux de lin‘ avant la Grande Annihilation
(Mein Abschied von ‘La fille aux cheveux de lin’ vor der großen Vernichtung) – drei Nachspiele zu einem Vorspiel des Claude Debussy. Mes Adieux wurde 1981 komponiert für den Pianisten Friedemann Rieger.
Mes Adieux ist, wie der Titel schon sagt, ein Stück des Abschieds – des Abschieds von einem Prélude Claude Debussys, und des Abschieds von einem verehrten Menschen gleichermaßen – vor dem uns drohenden Untergang durch militärische und ökologische Selbstzerstörung.
Mes Adieux gliedert sich in drei Teile: der erste, lange Teil in tonaler Kompositionsweise, genauer im Stile Debussys, vermischt mit Brahmsschen und Mahlerschen Stilelementen – hat als Zentrum ein Zitat aus dem Debussyschen Prélude ‚La fille aux cheveux de lin‘, um das herum das Übrige komponiert ist. Es soll in einer dem ‚normalen‘ Konzertbesucher vertrauten Sprache die Trauer des bevorstehenden Abschieds zum Ausdruck bringen, und, ‚typisch romantisch‘, deren schließliche Verklärung, fast als ‚happy end‘.
Das zweite, ziemlich kurze Stück in Mes Adieux, verdichtet nun sehr rasch Elemente aus dem ersten Teil von Mes Adieux sowie aus dem Debussy-Zitat, wodurch diese Musiksprache, je konsequenter ‚technologisch‘ organisiert, dem Hörer desto weniger sinnfällig, desto entfremdeter wird. Ein einzelner tonaler ‚Debussy-Akkord‘, in fremder Umgebung, widersteht dem Verdichtungs- und Entfremdungsprozess. Dieser kulminiert in einem Cluster, Symbol äußerster Verdichtung, Entfremdung und aggressiver Verdrängung des nicht in die nicht-tonale Struktur integrierbaren Klangs, worauf das Stück und seine Ordnung zusammenbricht.
Der dritte Teil von Mes Adieux besteht schließlich nur noch aus einem vom Ende des zweiten Teils übergebundenen Ton, der verklingt, und an den sich eine lange Pause anfügt, ein langes Schweigen als Symbol des Todes, des Nichts, nach dem Hereinbrechen der Katastrophe.
Mes Adieux versucht also, mit zwei der uns zur Verfügung stehenden ‚Sprachen‘ der Musik – der impressionistisch-tonalen und der nicht-tonalen der zweiten Wiener Schule – die Gefährdung unserer Welt und unserer Kultur musikalisch zu ‚inszenieren‘. Während nun die Mittel dieser impressionistischen
Tonalität im Jahre 1981 generell eine Brücke schlagen zwischen Komponist und Konzertpublikum, indem Vertrautes und verhältnismäßig Unkompliziertes wahrgenommen, ja ‚genossen‘ werden kann, bleibt jedoch solche Musiksprache weit hinter dem technischen Raffinement, weit hinter dem Freiheitsgrad von Material und Form zurück, wie ihn die Musik des 20. Jahrhunderts zunehmend sich gewann.
Und, indem sich, andererseits, Form und Material in der ‚Neuen Musik‘ seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts spätestens Zug um Zug ‚emanzipierten‘ und schließlich alles Klingende technisch und ästhetisch verfügbar wurde, entstellte sich zugleich das Antlitz dieser Kunst, ihre Sprache wurde dem Hörer immer weniger sinnfällig, immer entfremdeter, damit aber der Sinn des Ganzen auch immer fragwürdiger. In letzter Konsequenz kann eine Kunst auf solchen Bahnen nur noch ihren eigenen Untergang und den ihrer Gesellschaft darstellen.
Und darin sehe ich die schier unlösbare Problematik der Kunst heute – auch dieses Stücks ‚Mes Adieux‘ – und unserer gegenwärtigen Welt gleichermaßen: im Missverhältnis zwischen fortgeschrittenem und nur mit Gewalt zurücknehmbarem Stand der Differenziertheit von Einzelnem – und dessen zunehmender Unfähigkeit, in ein übergeordnetes Ganzes sich integrieren zu lassen. Der Riss ist tief, aber er vergrößert sich weiter unheilvoll.
Georg Wötzer
Mes Adieux de ‚La Fille aux Cheveux de Lin‘ avant la Grande Annihilation
‘Musik über Musik’, die den Hörer mittels tonaler Verarbeitung eines Préludes von Claude Debussy längere Zeit in Sicherheit wiegt vor der (musikalischen ?) Moderne bzw. Gegenwart.
Geeignet hauptsächlich für Musik-Laien.